Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Heilbronn vom 30. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger
im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
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Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags und weiterer Gewaltdelikte
sowie wegen mehrerer Unterschlagungen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung
(ebenfalls wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu einer Jugendstrafe
verurteilt.
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Seine Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Die (gefährliche) Körperverletzung zum Nachteil des ihm bis dahin nicht
bekannten Mi. R. hat der Angeklagte bestritten. Dieser und weitere Zeugen der
Tat hatten den Angeklagten bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten
Wahllichtbildvorlage nicht oder nicht sicher wiedererkannt. Ähnlich war das
Ergebnis der Hauptverhandlung, auch soweit dort weitere Tatzeugen vernommen
wurden, mit denen im Ermittlungsverfahren keine Wahllichtbildvorlage
durchgeführt worden war. Soweit Mi. R. den Angeklagten in der Hauptverhandlung
erkannte, hat die Jugendkammer zutreffend erwogen, dass er möglicherweise das
ihm früher gezeigte Lichtbild wiedererkannt haben könnte. Die Jugendkammer
stützt ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf
die Aussage des ebenfalls bei der Tat anwesenden M. R. .
Dieser hatte den Angeklagten vor allem deshalb wiedererkannt, weil er einige
Monate zuvor selbst einen Streit und eine tätliche Auseinandersetzung mit dem
Angeklagten gehabt hatte. Außerdem hat er, wie die Vernehmung des damit
befassten Polizeibeamten bestätigte, den Angeklagten bei einer
Wahllichtbildvorlage wiedererkannt. Der Angeklagte war auf dem fünften dem
Zeugen vorgelegten Lichtbild abgebildet gewesen. Nachdem der Zeuge erklärt
hatte, er erkenne den Angeklagten auf diesem Bild als denjenigen wieder, der
Mi. R. mit dem Messer verletzt hatte, wurde die Wahllichtbildvorlage beendet,
obwohl die Vorlage von neun Lichtbildern vorbereitet gewesen war. Die
Jugendkammer führt näher aus, dass trotz des Abbruchs der Wahllichtbildvorlage
deren Ergebnis, etwa wegen der Angabe M. R. s, den Angeklagten von der früheren
Auseinandersetzung her zu kennen, und aus sonstigen, von der Jugendkammer
dargelegten Gründen, "nicht wertlos" gewesen sei.
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Die Revision knüpft an den Abbruch der Wahllichtbildvorlage an und meint,
dass unter den gegebenen Umständen "der Beweiswert [der Wahllichtbildvorlage]
... gegen Null (strebt)".
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Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
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Allerdings sollen, dies ist ein Ergebnis kriminalistischer Erfahrung, einem
Zeugen bei einer Gegenüberstellung "eine Reihe" von
Vergleichspersonen gegenübergestellt werden (vgl. Nr. 18 RiStBV),
wobei eine Zahl von mindestens acht Vergleichspersonen empfehlenswert ist. Die
gleiche Anzahl von Lichtbildern ist bei Wahllichtbildvorlagen sachgerecht (vgl.
Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor
Gericht, 3. Aufl., Rn. 1257, 1251 mwN). Dabei ist es
vorzugswürdig, wenn dem Zeugen die Lichtbilder nicht gleichzeitig sondern
nacheinander (sequentiell) vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 9. März 2000 -
4 StR 513/99, StV 2000, 603; vgl. auch BGH, Urteil
vom 14. April 2011 - 4 StR 501/10; generell zur sequentiellen Vorlage Odenthal NStZ 2001, 580 ff. mwN).
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Der nicht näher ausgeführte Hinweis des Generalbundesanwalts, der Abbruch
einer Wahllichtbildvorlage, sobald eine Person erkannt sei, beruhe (nicht nur)
auf "polizeilichen Richtlinien" (vgl. insoweit auch Odenthal aaO S. 582), sondern sei auch "in entsprechender
Software implementiert", spricht dafür, dass hier - die Urteilsgründe
äußern sich hierzu nicht ausdrücklich - die Wahllichtbildvorlage nicht in
Papierform sondern (rechtlich unbedenklich) mit Videotechnik durchgeführt
wurde. Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass einem Zeugen auf
jeden Fall im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage (mindestens) acht Personen
gezeigt bzw. vorgespielt werden sollten, auch wenn er schon zuvor angibt, eine
Person erkannt zu haben. Denn er kann bei einer größeren Vergleichszahl etwaige
Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen
legen, sodass im Ergebnis eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen
einen höheren - in Grenzfällen möglicherweise entscheidenden - Beweiswert
gewinnen kann (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 7. Aufl., Rn. 1405,
Odenthal aaO, jew. mwN).
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Daraus folgt jedoch nicht, dass es, wie die Revision im Ergebnis meint, aus
Rechtsgründen schlechterdings ausgeschlossen wäre, das Ergebnis einer
Wiedererkennung im Rahmen einer (deshalb) nach Vorlage von fünf Bildern
abgebrochenen Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der
Beweisaufnahme einzubeziehen. Möglicher Schwächen dieser Art der
Beweisgewinnung war sich die Jugendkammer bewusst, wie ihre sehr weitgehende
Einschränkung, dass das Ergebnis der Wahllichtbildvorlage "nicht
wertlos" war, zeigt. In diesem Umfang konnte sie es in die eingehend und
sehr sorgfältig von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses
einstellen. Die Grenzen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung hat sie
weder dabei noch sonst überschritten.
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Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene
Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, wie dies auch der
Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2011 zutreffend im
Einzelnen dargelegt hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 43